Q2 2020 - Preiszerfall am Strommarkt: tiefere Stromrechnung?

 

Ein Beitrag von

Marc Grüninger M.C.J.
Patrizia Lorenzi 

 

Einleitung

Während des Lockdowns in der Coronavirus-Pandemie sank der Preis für elektrische Energie bzw. Strom an den Börsen drastisch und zuweilen unter null. Negative Strompreise kommen zwar immer wieder vor, in der Regel aber nur kurzfristig und wenn verschiedene Faktoren zusammentreffen. Im Zentrum steht dabei immer die Netzstabilität: Verbrauch und Produktion bzw. Ein- und Ausspeisung müssen ausgeglichen sein. Da die Schweiz relativ viel Strom importiert und exportiert, spielen für die Grosshandelspreise auch die Preise in den umliegenden Nachbarländern sowie der Wechselkurs CHF/€ eine wesentliche Rolle.

Während des Lockdowns sank der Verbrauch in der Schweiz an Werktagen um rund 10 %, in den Nachbarländern wurde unter anderem wegen der rigoroseren Massnahmen sogar ein stärkerer Verbrauchsrückgang verzeichnet. Gleichzeitig produzierten die grossen Windparks an der Nord- und Ostsee wie auch die Solaranlagen an sonnenreichen Tagen sehr viel Strom. Wenn solcher Wind- und Solarstrom mangels Speichermöglichkeiten vorrangig eingespeist wird und die Nachfrage an windigen und sonnigen Wochenenden und Feiertagen (wie an Ostern der Fall) tief ist, kann es zu solchen Negativpreisen kommen. Wegen der schwachen Nachfrage in der Krise sanken aber auch der Kohlepreis sowie die Öl-- und Gaspreise und der CO2-Preis. Milder Winter, weniger verstromte Kohle, vermehrte Stromproduktion durch Gaskraftwerke und erneuerbare Energien sind weitere Faktoren, die preisbildend sind und Druck erzeugten.

Mit dem vorliegenden Newsletter gehen wir der Frage nach, weshalb die Kunden als gebundene Endverbraucher von diesem Preisrückgang nicht automatisch profitieren und wovon dies abhängt. Nicht thematisiert wird der in der Stromrechnung ebenfalls aufgeführte Netznutzungstarif, also das Entgelt für die Nutzung und Durchleitung der elektrischen Energie auf den Verteil- und Übertragungsnetzen der Schweiz, sowie die Steuern und Abgaben an Gemeinwesen.

 

Strompreis in der Schweiz

Wer in der Schweiz welchen Strompreis bezahlt, hängt in erster Linie davon ab, ob man ein fester oder freier Endverbraucher ist, also ob man im Jahr weniger als 100 MWh verbraucht oder ob man frei ist, als Grosskunde sich am Markt einzudecken und Lieferverträge abzuschliessen. Ob diese Grosskunden vom Preiszerfall profitieren konnten, hängt deshalb von den Vertragskonditionen ihres Lieferanten ab, z.B. ob Fixpreise oder variable Preise vereinbart sind.

Für die festen Endverbraucher sowie für Grosskunden, die auf den Netzzugang verzichten (zusammen Endverbraucher mit Grundversorgung), beschafft der örtlich zuständige Verteilnetzbetreiber die benötigte Menge Strom, sei dies z.B. an den Strommärkten, durch Bezugsverträge und Beteiligungen an Erzeugungsanlagen oder eigene Produktion. Der Preis, den er dafür den Endverbrauchern in der Grundversorgung in Rechnung stellt, ist reguliert. Es gelten gesetzliche Vorgaben (Energierecht und natürliche Rohstoffe) für die Gestaltung dieses Elektrizitätstarifs, die im Stromversorgungsgesetz (StromVG) definiert sind und deren Einhaltung von der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (ElCom) überwacht werden.

 

Elektrizitätstarife im Allgemeinen

Der Verteilnetzbetreiber hat sich bei der Festlegung des Elektrizitätstarifs an den Gestehungskosten einer effizienten Produktion und an langfristigen Bezugsverträgen zu orientieren. Bei der Versorgung mit inländischer erneuerbarer Energie sind zudem Grenzen bei der Berücksichtigung solcher Kosten festgelegt, wobei diese darauf abzielen, die inländische Produktion zu stützen, gleichzeitig aber die Kostenüberwälzung im Mass zu halten. Der Elektrizitätstarif wird nach diesen Massgaben einmal jährlich festgelegt. Zeichnen sich Änderungen gegenüber dem Vorjahr ab, also sowohl Erhöhungen als auch Senkungen, ist dies den Endverbrauchern mit Grundversorgung mitzuteilen und zu begründen und der ElCom jeweils bis spätestens am 31. August zu melden.

Der Elektrizitätstarif ist selbst für Endverbraucher mit Grundversorgung nicht für die ganze Schweiz derselbe und hängt vom jeweiligen Verteilnetzbetreiber ab. Unterschiede können sich aus einem differenzierten ökologischen Produktemix ergeben. Ein Verteilnetzbetreiber kann den Endverbrauchern unterschiedliche Produkte zu unterschiedlichen Tarifen anbieten. Das Standardprodukt ist in der Regel ein teureres Produkt mit ökologischem Mehrwert. Tarifunterschiede können sich aber auch aus einem unterschiedlichen Anteil an Eigenproduktion und unterschiedlichen Konditionen in langfristigen Bezugsverträgen ergeben. Verteilnetzbetreiber, die vorteilhafte Einkaufspreise erhalten, können die Energie günstiger anbieten als z.B. solche, die einen hohen Anteil an teurerer Eigenproduktion aufweisen. Auch können gewisse Differenzen bei den Vertriebsmargen bestehen.

 

Elektrizitätstarife 2020

Die Elektrizitätstarife 2020 musste jeder Verteilnetzbetreiber mit Grundversorgung der ElCom bis am 31. August 2019 melden. Dieser Meldung ging die Publikation der Tarife voraus, mit der die Endverbraucher mit Grundversorgung informiert wurden. Mit anderen Worten wurden die Elektrizitätstarife für das Jahr 2020 bereits im ersten Halbjahr 2019 festgelegt und neuste Preisentwicklungen können darauf grundsätzlich keinen Einfluss mehr haben. Als Gegenbeispiel sei hier aber die Tarifsenkung der Services industriels de Genève (SIG) erwähnt (https://ww2.sig-ge.ch/covid19): Die SIG gewährt als Unterstützungsmassnahme im Rahmen der Coronavirus-Pandemie während vier Monaten vom 1. Mai bis zum 31. August 2020 eine Tarifreduktion von 20 %.

Die ElCom äusserte sich in ihrer Medienmitteilung vom 7. April 2020 generell zu solchen Tarifsenkungen aufgrund der krisenbedingten, angespannten wirtschaftlichen Situation. Sie erlaubt ausnahmsweise unterjährige Senkungen der Elektrizitätstarife 2020, obwohl diese grundsätzlich für ein Jahr fest sind. Allerdings dürften laut  ElCom dadurch keine Unterdeckungen bei den Verteilnetzbetreibern entstehen. Und bei der Finanzierung einer solchen Senkung aus Überdeckungen von Vorjahren, die von den Endverbrauchern berappt sind, seien alle Endverbraucherkategorien gleichermassen zu entlasten. Auch sei es zulässig, bei der kalkulatorischen Verzinsung der für die Produktion notwendigen Vermögenswerte nicht den ganzen gesetzlich zulässigen WACC von 4.89 % auszuschöpfen. Wichtig sei aber, dass die Finanzierung einer solchen Tarifsenkung transparent kommuniziert werde, und z.B. bei einer Finanzierung durch eine Überdeckung aus den Vorjahren nicht etwa von einem Rabatt oder einem Geschenk zu sprechen.

 

Fazit

Wenn die Stromrechnung, die der Endverbraucher mit Grundversorgung erhält, in der Krisensituation nicht tiefer ausfällt, ist dies somit in erster Linie darauf zurückzuführen, dass der Elektrizitätstarif 2020 bereits im Jahr 2019 festgelegt wurde und grundsätzlich für ein Jahr fest ist.

 

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