Familienverfassung

 
Ein Beitrag von

Gerhard Roth

 

Einleitung

"Ein Familienunternehmen am Leben zu erhalten ist wahrscheinlich die schwierigste Managementaufgabe auf Erden" (John Ward).

In einem Familienunternehmen prallen zwei Werte­systeme aufeinander: Dasjenige des Unternehmens, welches auf Leistung basiert und dasjenige der Familie, welches auf gegenseitiger Zuneigung basiert.

Für das Unternehmen besteht in der Regel eine den Marktverhältnissen angepasste, schriftlich festgehaltene Corporate Governance.

Eigentümerfamilien jedoch leben häufig nach mündlich überlieferten und vorgelebten Werten, die immer stärker auseinander zu fallen drohen, je grösser die Familie wird. Eine konkrete Festschreibung dieser Werte im Rahmen einer Family Governance fehlt in aller Regel, sei es, weil die Zeit dazu nicht aufgewendet werden will, sei es, weil man die Auseinandersetzung mit den Werten der anderen Familienmitglieder scheut. Das Resultat ist ein Hinausschieben der Diskussionen zentraler Fragen sowohl für das Unternehmen, als auch für die Familie.

Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass der Stellenwert der finanziellen Anreize für die Familienmit­glieder, im Unternehmen mitzuarbeiten, von Gene­ration zu Generation steigt. Ohne die Einigung auf zentrale Werte drohen Konflikte zwischen den Generationen, innerhalb einer Generation, aber auch mit dem Management des Unternehmens, sei dies durch Familienmitglieder besetzt oder nicht.

Was ist eine Familienverfassung

Eine Familienverfassung (auch Familiencharta) stellt das Bindeglied zwischen der Unternehmerfamilie und ihrem Unternehmen dar. Sie dient als eigentliche Family-Business Governance.

Die Familienverfassung wird von allen Familienmit­gliedern zusammen entwickelt. Sie enthält die zentralen Werte und Ziele für die Unternehmerfamilie einerseits, sowie für das Unternehmen andererseits. Als solche gibt sie vor, welche Regelungen die Familienmitglieder unter sich vorzukehren haben (Ehe- und Erbverträge, Testamente, Vorsorgeaufträge) und was in Bezug auf ihre Stellung als Aktionäre oder Management des Unter­nehmens gelten soll (Statuten, Organisationsreglemente, Aktionärbindungsverträge).

Familienverfassungen sind nicht bindend. Das mag auf den ersten Blick erstaunen, ist jedoch aufgrund ihrer Stellung als Bindeglied zwischen Familie und Unterneh­men systematisch richtig. Bindend sind erst die sich aus der Familienverfassung ergebenden Verträge und Reglemente für die Familie und das Unternehmen.

Was regelt die Familienverfassung

Familienverfassungen müssen individuell auf die konkreten Verhältnisse zugeschnitten sein. Häufig Angepriesene "Best Practice"-Lösungen sind untauglich. Einer der Hauptwerte einer Familienverfassung besteht gerade darin, dass diese in offenen Diskussionen gemeinsam und im Konsensprinzip erarbeitet werden.

Stichwortartig dargestellt, soll die Familienverfassung Folgendes regeln:

Definition der Familie

Wer gehört zur Unternehmerfamilie im engeren Sinne? Typischerweise wird zwischen "geborenen" und "gekorenen" Familienmitgliedern unterschieden. Sollen z.B. Ehepartner, Steifkinder, Adoptivkinder, Wittwen oder Wittwer von geborenen Familienmitgliedern Aktien halten können?

Werte und Ziele

Die Familienverfassung legt die Grundwerte für die Familie aber auch für das Unternehmen fest. Es muss nachgedacht werden über Begriffe wie Nachhaltigkeit, Gewinnmaximierung, Ethik, Moral, Loyalität, Disziplin Verantwortungsbewusstsein oder Einigkeit. Zudem wird eine Aussage zu treffen sein zur Gewinn- und Dividen­denerwartung der Familienmitglieder.

Rollenverteilung

Spätestens in der dritten Generation können in der Regel nicht mehr alle Familienmitglieder im Unterneh­men in leitender Funktion tätig sein. Auf welcher Stufe soll die Familie Einfluss auf das Unternehmen nehmen? Welche Auswahlkriterien sollen gelten im Hinblick auf das Alter und die Ausbildung der Kandidaten? Wer trifft die Auswahl? Sollen überhaupt, und wenn ja in welcher Form und auf welcher Stufe, Nicht-Familienmitglieder Führungspositionen einnehmen können? Können Familienmitglieder als externe Berater oder Lieferanten mit dem Unternehmen zusammenarbeiten (Thema: Interessenkonflikt)?

Nachfolge

Auch bei Familienunternehmen ist die familieninterne Nachfolge nicht die einzig mögliche Lösung. In der Regel hat sie aber Vorrang gegenüber dem Verkauf an einen Mitbewerber, an einen Finanzinvestor oder über die Börse an ein breiteres Publikum. Was sollen die Entscheidkriterien für die Beantwortung der Nachfolge­frage sein? Sollen für diese spezielle Frage auch spezielle Quoren für die Abstimmung darüber gelten? Im Todes­fall eines Aktionärs stellen sich zudem die Fragen der Behandlung minderjähriger Aktionäre und deren Vertretung sowie die Voraussetzungen an eine Willens­vollstreckung.

Internationalisierung der Familie

Je grösser die Unternehmerfamilie wird, desto grösser wird auch die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Aktionäre Ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen. Dadurch kommen Regelungen verschiedener Rechts­ordnungen zur Anwendung. Widersprechen sich diese oder enthalten sie Bestimmungen, welche dem Inhalt der Familienverfassung und der gestützt darauf abge­schlossenen Verträge nicht gerecht werden, so sind diese Folgen abzuwehren. Konfliktsituationen ergeben sich regelmässig mit ausländischem Ehe- oder Erbrecht oder mit einem für eine ausländische Tochtergesellschaft anwendbarem Gesellschaftsstatut.

Fortbildung der Familie

Sämtliche für eine Aktionärsstellung qualifizierenden Familienmitglieder müssen regelmässig weitergebildet werden. Das erleichtert die Kommunikation insbeson­dere auch für jene Mitglieder, die im Unternehmen mitarbeiten.

Verträge

Die Familienverfassung enthält Bestimmungen darüber, welche gegenseitigen Rechte und Pflichten die einzelnen Familienmitglieder eingehen sollen und welche Folgen die Verletzung einer solchen Pflicht haben wird. Umge­setzt werden diese Vorgaben in ehe- und erbrechtlichen Verträgen, in einem Aktionärbindungs-vertrag sowie in den gesellschaftsrechtlichen Verträgen und Reglemen­ten.

Verhaltenskodex - Kommunikation

Der Erfolg des Familienunternehmens ist massgeblich geprägt vom Verhalten der einzelnen Familienmitglieder und der Familienstämme untereinander. Dazu bedarf es konkreter Regeln, sowohl im Innverhältnis als auch in der Kommunikation gegen aussen.

Streitschlichtung

Familieninterne Auseinandersetzung sind äusserst sensible Angelegenheiten und bergen eine hohe Eskala­tionsgefahr. Sie sollten auf keinen Fall nach aussen getra­gen werden. Dies gilt es sicherzustellen.

Wer braucht eine Familienverfassung?

Familienverfassungen sind zugeschnitten auf Unterneh­merfamilien, welchen das Führen ihrer Unternehmung nach überlieferten und gemeinsam festgelegten Werten wichtig ist. Das Unternehmen sollte die Kraft oder zumindest das Potential haben, mehreren geeigneten Mitgliedern der Familie die Möglichkeit zur unterneh­merischen Entfaltung zu bieten.

In zeitlicher Hinsicht sollte die Diskussion über eine Familienverfassung spätestens dann geführt werden, wenn die Gründerphase abgeschlossen ist und sich das Aktionariat in Familienstämme aufzuteilen beginnt.

 

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