zurück

Sicherheit der Gasversorgung in der Schweiz

08.04.2022 Publikationen

 

Ein Beitrag von 

Marc Grüninger 
Patrizia Lorenzi
Melanie Wilhelm

 

Ausgangslage

Der Gasendverbrauch in der Schweiz macht ca. 15 % des gesamten Endenergieverbrauchs aus. Die Gasnachfrage wird zu rund 99 % mit importiertem Erdgas und zu 1 % mit eingespeistem Biogas aus Schweizer Produktion gedeckt. Aus Russland stammt rund die Hälfte des in die Schweiz importierten Erdgases.

Für die Beschaffung von Erdgas ist Swissgas, die Schweizerische Aktiengesellschaft für Erdgas, in Zusammenarbeit mit den vier Regionalgesellschaften (Erdgas Ostschweiz, Gasverbund Mittelland, Erdgas Zentralschweiz und Gaznat) verantwortlich. Die Regionalgesellschaften beliefern die lokalen Gasversorger sowie industrielle Grossabnehmer und betreiben die regionalen Transportnetze. Einen Teil ihres Bedarfs beschaffen die Regionalgesellschaften zudem selber. Im Tessin bezieht der lokale Gasversorger AIL (Aziende Industriali di Lugano) das Erdgas in Italien.

Als leitungsgebundener Energieträger wird Erdgas von der Quelle bis zur Nutzung in unterirdisch verlegten Leitungen transportiert. Das aktuelle Rohrleitungsgesetz aus dem Jahr 1963 (RLG) enthält die Grundlage für einen monopolisierten Betrieb und ein Konzessionssystem. Daneben verpflichtet es die Netzbetreiber, Transporte für Dritte zu übernehmen. Die schweizerische Wettbewerbskommission (WEKO) hat im Jahr 2020 entschieden, dass auch kleinere Endverbraucher ihren Lieferanten grundsätzlich frei wählen dürfen. Zudem bestehen in den verschiedenen Netzgebieten unterschiedliche Bedingungen für die Belieferung durch Dritte und den Zugang zum Transportnetz. Auch gibt es in der Schweiz vier verschiedene Bilanzzonen.

Um einen gesamtschweizerischen, einheitlichen Gasmarkt anzustreben, wurde das Gasversorgungsgesetz (GasVG), das vom Oktober 2019 bis im Februar 2020 in der Vernehmlassung war, entworfen. Der Bundesrat will die Botschaft dazu im Jahr 2022 verabschieden.

 

Sichere Gasversorgung in der Krise

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führt zu grosser Instabilität und Preiserhöhungen auf den Gasmärkten. Das Gasgeschäft und insbesondere der Gasimport aus Russland ist zudem zunehmend ein heikles politisches Thema. Am 25. März 2022 beispielsweise führte der Bundesrat weitere Sanktionen gegen Russland ein und schloss sich damit weiteren EU-Sanktionen an. Sie beinhalten unter anderem ein Embargo für Güter der Ölindustrie und der Ölraffination. Die Ausfuhr von Gütern für den russischen Energiesektor und damit verbundene Dienstleistungen sind untersagt. Ebenfalls verboten sind Beteiligungen und Bereitstellung von Darlehen oder sonstiger Finanzmittel an Unternehmen, die im russischen Energiesektor tätig sind. Einen eigentlichen Importstopp von russischem Gas haben aber weder die Schweiz noch die EU verhängt, im Unterschied zu den Vereinigten Staaten und Grossbritannien.

Als Reaktion auf die wirtschaftlichen Sanktionen der EU gegen Russland drohte der russische Präsident Wladimir Putin u.a. damit, kein Erdgas mehr über die Nord Stream 1-Pipeline nach Europa zu liefern und die Bezahlung von Erdgaslieferungen nur noch in der russischen Währung Rubel zu akzeptieren. Diese Drohungen sowie Diskussionen über einen möglichen Boykott russischen Gases durch die EU verstärken die Versorgungsunsicherheit.

 

Massnahmen zur Versorgungssicherheit

Von der erhöhten Instabilität an den Energiemärkten ist auch die Schweiz betroffen. Die Schweiz hat keine grossen Gasspeicher und ist zur Deckung des Gasbedarfs nahezu vollständig von kontinuierlichen Importen und damit vom internationalen Gasmarkt abhängig.

Aufgrund der geopolitischen Situation suchen auch die EU und viele Länder in Europa nach alternativen und zusätzlichen Liefermöglichkeiten für den nächsten Winter. Die EU strebt an, die Beschaffung von Erdgas und verflüssigtem Erdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) auf EU-Ebene zu koordinieren. Ausserdem haben die EU-Mitgliedsländer Solidaritätsabkommen für die gegenseitige Gaslieferung in Notlagen abgeschlossen. Die Schweiz ist nicht in dieses System eingebunden.

Vor diesem Hintergrund beschloss der schweizerische Bundesrat Anfang März 2022 Massnahmen, welche die Gasversorgungssicherheit im Winter 2022/23 stärken sollen. Er erwartet nun von der Schweizer Gasbranche, dass diese rasch und koordiniert zusätzliche Speicherkapazitäten im Ausland sowie Gas, LNG und LNG-Terminalkapazitäten beschafft. Da die entsprechenden Beschaffungen aufgrund ihrer Grösse von den Gasunternehmen nur gemeinsam getätigt werden können, sind innerhalb der Branche Absprachen notwendig. Der Bundesrat hat jedoch zugesichert, dass deswegen keine kartellrechtlichen Konsequenzen befürchtet werden müssen. Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) und das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) wurden beauftragt, in Zusammenarbeit mit der Wettbewerbskommission WEKO und der Schweizer Gasbranche die entsprechenden Modalitäten bis Ende April 2022 auszuarbeiten.

Am 25. März 2022 fand zudem ein erstes Treffen eines neu gebildeten Steuerungsausschusses statt. Unter der Leitung der Vorsteherin des UVEK und des Vorstehers des WBF hat dieser die Aufgabe, die Arbeiten zur Versorgungssicherheit im Energiesektor eng zu begleiten und zu koordinieren. Für die Versorgungssicherheit im Bereich Energie sind verschiedene Akteure zuständig. Diese wollen die Herausforderungen gemeinsam angehen. Nebst den beiden Bundesräten nahmen deshalb Vertreter der Konferenz kantonaler Energiedirektoren (EnDK), der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (EICom), des Verbands schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie (VSG) sowie Spitzenvertreter von Swissgrid, Alpiq, Axpo, BKW und Repower an diesem Treffen teil. Leiter der Steuerungsgruppe ist Benoît Revaz, Direktor des Bundesamts für Energie (BFE).

 

Artikel als PDF herunterladen