zurück

Schlechte Karten für alleinstehende Wochenaufenthalter

19.09.2022 Transaktionen

 

Ein Beitrag von

Gerhard Roth 
Jil Suter

 

Einführung

Fallen Arbeitsort und Familienort auseinander, stellt sich regelmässig die Frage nach dem steuerrechtlichen Wohn­sitz. Insbesondere unselbstständigerwerbende, alleinste­hende Wochenaufenthalter über 30 Jahre haben schlechte Karten, den Wohnsitz im steuergünstigeren Familienort argumentieren zu können.

 

Steuerrechtlicher Wohnsitz

Grundsätzlich ist das gesamte Einkommen und Vermögen am Wohnsitz zu versteuern. Dieser liegt dort, wo sich der Steuerpflichtige mit Absicht des dauernden Verbleibens aufhält (sog. Lebensmittelpunkt). Für die Ermittlung des Lebensmittelpunktes wird auf die Gesamtheit der objek­tiven, äusseren Umstände abgestellt, aus denen sich die persönlichen und wirtschaftlichen Interessen einer Person erkennen lassen. Nicht ausschlaggebend ist, wo der Steu­erpflichtige seine Schriften hinterlegt hat oder die politi­schen Rechte ausübt. Die Frage nach dem Lebensmittel­punkt stellt sich regelmässig bei den sogenannten Wo­chenaufenthaltern. Wochenaufenthalter sind unselb­stständigerwerbende Personen, welche sich unter der Woche zu Erwerbszwecken am Arbeitsort aufhalten und an den Wochenenden regelmässig an den Wohnort (Fami­lienort) zurückkehren.


Das aktuelle Bundesgerichtsurteil

Im Entscheid vom 27. Dezember 2021 hat sich das Bun­desgericht mit der Frage auseinandergesetzt, unter wel­chen Umständen ein als Wochenaufenthalter gemeldeter Unselbstständigerwerbender seinen steuerrechtlichen Wohnsitz am Arbeitsort begründet.

Vorliegend hatte das Gericht zu beurteilen, wo sich der steuerrechtliche Wohnsitz des 33-jährigen, alleinstehen­den X befindet. Unter der Woche ging dieser seiner un­selbstständigen Erwerbstätigkeit in Bern nach, während er die Wochenenden an seinem Wohnsitz in St. Gallen verbrachte. Gemäss eigenen Angaben kehrte X. jeweils am Freitagnachmittag nach St. Gallen zurück und reiste am Montagmorgen für seine Arbeit wieder nach Bern. Im Kanton St. Gallen bewohnte er mit seinen Brüdern als Miteigentümer das Elternhaus, betrieb verschiedene ge­sellschaftliche Aktivitäten und pflegte soziale Kontakte. Die Vorinstanz ging davon aus, dass X. auch im Kanton Bern nach 5 Jahren Wochenaufenthalt gewisse gesell­schaftliche Beziehungen geknüpft haben musste. Dennoch erkannte sie, dass die gesellschaftlichen Beziehungen von X. in St. Gallen "etwas stärker" ausgeprägt sind, als jene in Bern. Das Bundesgericht ging in seinem Entscheid noch weiter und anerkannte, dass diese nicht nur "etwas stär­ker", sondern "deutlich stärker" sind. Aber: dies allein genüge nicht, damit vom Arbeitsort als Lebensmittel­punkt abzuweichen wäre. In der "Konstellation" von X. käme das nur infrage, wenn besonders enge familiäre Beziehungen für den Familienort als Lebensmittelpunkt sprechen würden. Das Bundesgericht war der Ansicht, dass dies nicht gegeben sei und X. entsprechend in Bern seinen steuerrechtlichen Wohnsitz begründet.

 

Typische Fallkonstellation

Die jahrelange Rechtsprechung des Bundesgerichts er­laubt es, gewisse typische Fallkonstellationen herauszu­kristallisieren. Der Lebensmittelpunkt von unselbststän­digerwerbenden Wochenaufenthaltern liegt grundsätz­lich am Arbeitsort. Bei verheirateten bzw. im Konkubinat lebenden Personen überwiegen demgegenüber die fami­liären Beziehungen die Interessenbindung zum Arbeits­ort. Die Rechtsprechung nimmt weiter an, dass Ü-30 Alleinstehende eine stärkere Beziehung zum Arbeitsort haben und somit dort steuerpflichtig sind.

 

Fazit

Alleinstehende Wochenaufenthalter über 30 Jahre sind grundsätzlich an ihrem Arbeitsort steuerpflichtig, selbst wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass die gesell­schaftlichen Beziehungen am Familienort deutlich stärker sind und die regelmässige Rückkehr an den Familienort unbestritten ist. Wie dies unter dem Blickwinkel der Dis­kriminierung von alleinstehenden Ü-30 Arbeitnehmer­innen und Arbeitnehmern zu beurteilen ist, steht auf einem anderen Blatt.

 

Artikel als PDF herunterladen